Donnerstag, 6. März 2014

Segeln: Jugendwanderkutter damals und heute


 

28.04.2012
Kutter sind mehr oder weniger das Gegenteil des üblichen “Segler-Klischees”.
Von Heiner Fosseck. Nur wenig mehr können den Ruhe und Einsamkeit suchenden Stadtmenschen, der das Segeln als Kontrast zu seinem alltäglichen Umfeld betreibt, von einer Horde Kutter – Russen“ trennen, die lärmend und auf ständiger Suche nach Abwechslung jedweder Art wie eine Heimsuchung in „sein“ Refugium einbrechen. Dann ist schnell das eigentlich Verbindende übersehen, kein Auge mehr für das interessante Fahrzeug entwickelt, mit dem jene da nebenan gerade unterwegs sind: der Jugendwanderkutter`.
So beschreibt Ulrich Körner, ein wohl leidgeprüfter Segler, seine Erfahrungen mit den Besatzungen der Jugendwanderkutter auf der Elbe.
Sicher ist das Geschichte und es handelt sich um Einzelfälle. Ebenso wie der im Fahrwasser der Elbe treibenden Segelkutter, dessen Mannschaft fröhlich mit Bierflaschen zur Brücke eines großen Frachters hinauf winkten und die Schiffsführung zu einem Ausweichmanöver zwang (so berichtet von einem Elblotsen). Oder gegenüber Jugendkuttern ausgesprochene Hafenanlaufverbote. Jetzt konnte der Vorsitzende des Blankeneser Segel-Clubs in der Club-Zeitung mitteilen , dass ältere Mitglieder des Vereins mit Herz für Kutter und einer traditionellen Kutterausbildung sich der Instandhaltung der Jugendkutter und der Mannschaften annehmen.
Wie war das denn früher mit dem Jugendkutter und den jugendlichen Mannschaften auf der Elbe gewesen?
In grauer Vorzeit, kurz nach dem letzten Kriege, also um 1950 herum, gab es schon wieder oder immer noch Jugendwanderkutter im Blankeneser Segel Club. Ich kann mich erinnern, dass man nach Gutsprache von Grete Tetzen bei Theodor Tetzen erscheinen musste, der mich 10 jährigen Bengel nach einigen Ermahnungen in den Blankeneser Segel Club aufnahm. Der Jahresbeitrag lag bei DM 4,25, den meine Eltern schweren Herzens entrichten mussten. Eingereiht wurde ich in die jüngste Jugendmannschaft. Die Kutterführer waren Walter Vehstedt und Heino Pohl. Im alten Clubhaus, wo der legendäre Mathias von Appen, als Bootsmann das sagen hatte, haben wir Seemannschaft gepaukt. Palstek und Schotstek kann ich noch heute mit geschlossenen Augen knoten.
Die Kutter waren aus Holz und mussten jährlich von Grund auf überholt werden. Da mussten alle mit ran. Da wurde mit Verve geschruppt und geschliffen und Farbe gewaschen, dass das Blut unter den Fingernägeln heraus quoll und manche Mütter fragten sich wohl, warum der Bengel sich zuhause vor der Hausarbeit drückte. Die Kutter lagen winters vor dem Bootshaus aufgebockt und von Mai bis September hart an der Fahrwasserlinie in der Elbe an einer Boje bei der Bootsvermietung Breckwoldt. Mit dem Segeln war es am Anfang nichts. Da musste erst rudern oder ruxen geübt werden. Das schwere Boot wurde von zwei mal fünf Ruderern gerudert und wehe, wenn mal der Riemen im Wasser unterschnitt, dann wurde gleich angefragt, ob man Krebse fangen möchte oder der paddelt ja wie ein Hamburger. Vor dem Blankeneser Bulln und dem Bootshaus musste besonders exakt gerudert werden. Blamieren wollte man sich möglichst nicht. Da standen auch die Eltern und Verwandten und sahen sich an, was der Sprössling bis dato gelernt hatte. Gerudert wurde zur Kirschenzeit nach Neuenschleuse und in den alten Kirschenbäumen am Deich konnte man zum Ärger der Obstbauern die gesamte Kutterbesatzung in die Bäume klettern sehen.
In der Sommerzeit ging es zum Baden nach Meyers Sand und zurück merkwürdigerweise oft an einem verwunschenen Nacktbadestrand an der Südseite von Meyers Sand vorbei.
Die Eltern waren froh, dass ihr Söhne und Töchter Mitglied im BSC waren, wussten sie doch ihre Kinder dort gut aufgehoben.
Ich bekam nach einiger Zeit einen blauen Pullover mit einem weißen und roten Streifen und eine rot-weiß-blaue Pudelmütze. Die Clubfarben des BSC. Man fühlte sich dazu gehörig und ein ehemaliges Jugendkuttermitglied hatte später in ihren Lebenslauf geschrieben: Mitglied in der Jugendmannschaft im Blankeneser Segel Club.
Endlich durfte auch gesegelt werden. Die Kutter wurden von vier Mann an die Innenkannte des Bulln verholt und dann mussten beide Masten mit Segeln und Takelage herumgetragen werden. Zwei Masten wurden eingesetzt und die Wanten gespannt und das Persenning , Schlafsäcke und alle privaten Utensilien mussten untergebracht werden. Einige hatten sogar Federbetten mit. Gesegelt wurde ab Sonnabend um die Mittagszeit nach Lühe oder Neuenschleuse. Je nachdem, wie die Tide war. Am Bord waren bis zu 12 Mann. Jeder hatte seine Aufgabe. Einer an der Fock oder am Großsegel und die anderen mussten auf der hohen Kante sitzen oder das Schwert bedienen und aufklaren.
Geschlafen wurde unter einem großen Persenning, dass zeltartig zwischen den Masten und dem Segelbaum gespannt wurde. Darunter war es urgemütlich. Geschlafen wurde auf alten Schwimmwesten aus Kapok auf den Lahmbrettern. Bevorzugt waren die Plätze auf der Back und natürlich in der “Küchenbude” achtern. Unangenehm war es, wenn es regnete, Da durfte man nicht an das Persenning kommen, dann tropfte es gnadenlos auf die Schläfer.
Es wurden Kutteregatten gesegelt. Die Hamburg – Cuxhaven Regatta war schon eine Herausforderung. Es ging so richtig zur Sache. Da wurde gnadenlos das Boot auch durch die Nacht geknüppelt und dann auch noch gegen die Tide an,dann kam auch viel kaltes Wasser ins Boot. Darunter litten meistens die Jüngsten, denn die saßen vorne und bedienten die Fock.
Jährlich gab es einen Kutterwettkampf im Mühlenberger Loch. Ein Dreieckkurs wurde abgesegelt und auch Knotenkunde mussten die Mannschaften können. Einmal im Jahr in den großen Ferien gingen die Kutter auf große Ostseetour. Da wollten natürlich alle mit. 1955 war beim weißen Kutter „Kapitän Dreyer“ das Ruderblatt gebrochen und Heino Pohl und Mathias von Appen schafften es in einigen Tagen aus einer dicken Eichenbohle ein neues Ruderblatt zu zaubern und die Ostseetour des „Dreyers“ konnte doch am nächsten Sonnabend starten. Der Schatzmeister des Vereins brauchte damals nicht belästigt werden. Dann kamen noch zwei große Kisten an Bord. Darin befanden sich nautische Geräte und Kochgeschirr und weitere Ausrüstung. Wir schliefen zwischen dem Schwertkasten links und rechts zu zweit. Eine drangvolle Enge.
Durch den Nord-Ostseekanal wurden wir von einem hilfswilligen Schipper mit seinem Schiff durchgeschleppt.
Auch wenn wir sonntags auf der Elbe von Glückstadt nach Blankenese zurück rudern mussten, winkten wir einem langsamen Kahn mit dem Tampen, der uns freundlicherweise meistens mitnahm. Da das Schiff oft nicht abstoppte, musste man höllisch aufpassen, dass die Schleppleine nicht riss.
So war das Anfang der 50er Jahre bei den Jugendkuttern. Viele der bekannten Blankeneser Segler haben damals auf den Kuttern das Segeln und die Seemannschaft erlernt. Es gab damals viel weniger Boote auf der Elbe und die sonstigen Freizeitangebote waren doch oft arg eingeschränkt. Dass kleine Kinder heute mit den Dingis segeln , davon konnte man damals nur träumen. Die Freizeitangebote sind heute so vielfältig, so dass sich Jugendliche kaum noch entscheiden können, ob sie für das Segeln im Jugendwanderkutter noch Zeit haben. Dass ein 16 jähriges Mädchen in Pumps zum Segelunterricht kommt und erklärt, dass sie wenig Zeit hätte, da sie gleich zum Geigenunterricht müsste, ist hoffentlich ein Einzelfall gewesen.
Im Jahre 2009 wurde das zweite norddeutsche Jungseniorentreffen unter dem Motto: „60 Jahre Kutterzirkus“ in Schulau veranstaltet und viele der alten und nicht so alten „Kutterrussen“ waren dabei.
Die Kutterflotten sind geschrumpft. Viele Segelclubs haben gar keine Jugendkutter mehr. Der ehemalige Elblotse Klaus Schade hat ein Motto: Nicht kritisieren! Besser machen! Die Jugendkutter und ihre Mannschaften im BSC sind bei ihm jetzt in guten und erfahrenen Händen.
Diese „alten Zeiten“ des Jugendkutters sind sicherlich inzwischen passé, aber dennoch gibt es auch heute noch Klubs, in denen diese Segelgemeinschaften mit Jugendkutter gepflegt werden. „ Unsere Jugendlichen segeln mit der “Kersten Miles” einem Jugendwanderkutter auf der Elbe und bei der Sommerfahrt auch auf der Ostsee“ heißt es beispielsweise bei der Segelkameradschaft Hansa: www.sk-hansa.de/html/jugendwanderkutter.html
Der Segelclub Vegesack will interessierten Jugendlichen die Gelegenheit geben, traditionelle Seemannschaft, sowie die maritime Traditionen der Region kennen zu lernen. Unser wichtigstes “Handwerkzeug” ist hierbei der Jugendwanderkutter Vegefeuer.Mehr dazu unter www.vegesack-maritim.de/mtv/cont/03_jugend.html
Und bei der Segler-Vereinigung Altona-Oevelgönne e.V heißt es: „Kuttersegeln ist etwas ganz besonderes unter den Kutterrussen. Es geht nicht um Geschwindigkeit, oder darum jede Regatta mitzumachen. Die Jugendwanderkutter sind, wie der Name schon sagt, für Touren spezialisiert. Das heißt, dass beim Segeln nicht viel Stress gemacht wird, wie auf Regatten. So lernt man auch schnell neue Häfen kennen, die man bisher noch nicht kannte.
Wer hier neu einsteigen oder einmal mitsegeln will, ist herzlichst willkommen. Die Altersunterschiede sind auf den Kuttern uninteressant. Von 14 bis 21 Jahren darf jeder dabei sein. Segelerfahrungen sind nicht erforderlich (aber natürlich vorteilhaft). Falls die noch nicht da sind, werden diese dir schnell beigebracht. Sobald du dabei bist, wirst du schnell aufgenommen, lernst schnell viele neue und nette Leute kennen (auch von anderen Kuttern). Wir segeln fast jedes Wochenende mit Kuttern zusammen.
Das Wichtigste für uns beim Kuttersegeln ist, dass wir Spaß dabei haben. Und das garantieren wir auch. Kutter sind mehr oder weniger das Gegenteil des üblichen “Segler-Klischees”. Wir leben quasi abseits der Spießig- und Pingeligkeit und genießen das Leben an der frischen Luft auf der Elbe.
In den Hamburger Sommerferien machen wir jeden Sommer mit mehreren Jugendwanderkuttern eine Sommertour, die abwechselnd nach Århus oder Kopenhagen geht. Diese Sommertouren gehen vier ganze Wochen lang, aber die Zeit vergeht wie im Flug. Hinzu kommt auch manchmal eine zweiwöchige Herbsttour in den Hamburger Herbstferien, die einem auch viel Spaß bereitet bei trotzdem manchmal minderen Temperaturen.
Kuttersegeln ist auch nicht ganz nutzlos. Besonders fördert das Kuttersegeln die Selbständigkeit, man wird schnell selbstbewusster, lernt im Team zu arbeiten und das Verantwortungsbewusstsein steigt auch. Nicht zu allerletzt fördert es vielleicht auch die Kochkünste, denn irgendwann ist jeder einmal mit der Backschaft dran.
Meist sind wir mit den Kuttern Lühesand (WSC Lühe, 3), Neumühlen (SVAOe, 12), Roland von Wedel (SVWS, 17), Kersten Miles (SKH, 20), Finkenwerder (TuS, 26), Nordwest (JKN, 32), Möwe von Köhlfleet (SCOe, 39) auf der Elbe unterwegs. Mehr dazu unter mail@]svaoe.de
Jugendkutter werden auch heute noch gebaut, als klassisches Ausbildungsboot im modernen Gewand. DerRumpf besteht dabei aus Kunststoff, wie beispielsweise bei www.bootswerft-peterknief.de. Um das traditionelle Aussehen zu erhalten, werden Setzbord, Decks, Duchten und Masten in bester Bootstradition aus Holz gefertigt.
Der nach klassischem Vorbild gebaut Zweimast-Kutter wird in Segelvereinen besonders im Bereich der Jugendarbeit eingesetzt und ist für die Ausbildung in Binnen- und Küstengewässern geeignet. Der Jugendwanderkutter erfreut sich bei Vereinen nach wie vor großer Beliebtheit.

Ein Kommentar

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Hallo Herr Fosseck,
da kriege ich ja richtig nostalgisch glänzende Augen. Ihre Beispiele habe ich auch alle so erlebt und noch einiges mehr, als ich von 1964 bis ca. 1970 beim Mühlenberger SC Kutter gesegelt habe. Jeden Sonntag abend habe ich mich gefragt, warum ich die Strapazen (und es waren wirklich welche) auf mich nehme und jeden Freitag nachmittag bin ich wieder losgezogen.
War eine schöne Zeit – danke für den Artikel.

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