Dienstag, 12. Februar 2013

Brief aus dunkler Zeit

1. September 1943

Mein lieber Helmuth!
Am Sonnabend, den  24.7.1943, kam ich mit dem Zug aus dem schönen Hahnenklee nach Hamburg zurück. Meine Braut war noch zwei Tage dort geblieben, erstens war das Wetter wundervoll und zweitens hatte ich in Familie zu machen. In Bergedorf erlebte ich den ersten Alarm, sah Hamburg von unserem Dach aus in Flammen gehüllt und - Du wirst lachen! - hielt eine der aus Wittenberge heranrückenden Feuerwehren in Bergedorf an, um mich in Hamburg noch in der Nacht,es war 0200 Uhr, zum Einsatz zur Verfügung zu stellen. In der Hirtenstrasse stand noch alles unversehrt. auch Euer Haus am Sahling war am Sonntagmorgen bis auf einigen Glasschaden noch intakt. Ich stieg hinauf, habe verschiedene Male geklingelt, aber es meldete sich niemand. Ich habe dann mit einigen Unterbrechungen die letzte Woche meines Urlaubs in den Umfang immer mehr zunehmenden Trümmern Hamburgs verbracht. Es wurde ja jede Hand gebraucht, so dass ich es nicht fertig brachte, mich in das bis dahin noch unversehrte Bergedorf zurückzuziehen. Am Montag  nachmittags musste ich meine Braut bereits in Harburg in Empfang nehmen, da die Züge nur noch bis dort verkehrten, Der Zug kam allerdings mit drei Stunden Verspätung an, und so hatte meine Braut bereits den Tagesangriff auf Hannover mitgemacht.
In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch ist dann von den Mordbrennern auch die gesamte Hirtenstrasse  - ach was, ganz Hamm - in Trümmer gelegt worden, meine Braut war in Bergedorf bei ihren Eltern, so dass mir die traurige Aufgabe vorbehalten blieb, ihr den Verlust ihrer gesamten Habe mitzuteilen. Am Abend vorher hatten wir ja nur noch einige Koffer mit nach Bergedorf nehmen können, denn man musste ja
bereits bis nach Tiefstack laufen und Fahrzeuge konnte man nicht bekommen. Es war einfach erschütternd , ich habe nie geglaubt, dass der Krieg so grausame Formen annehmen wird. Dagegen war die Lizafront ein Schattenspiel. Tausende von halbverkohlten oder zerissenen Leichen bedeckten die Straßen, in der Stadt herrschte eine geradezu afrikanische Hitze. Am Freitag - nach dem dritten schweren Angriff habe ich mich bei  der Befehlsstelle , der ich zugeteilt war, abgemeldet, um am Sonnabend  wieder in das "gelobte Land" zu reisen. Ich kam mir direkt lächerlich vor, in solchen Stunden musste ich meine Nächsten alleine lassen. Von Bergedorf bin ich dann nach dreizehnstündiger Fahrt in Güstrow eingetroffen, von dort aus ging es den üblichen Weg weiter. - Inzwischen habe nun auch  ich von den Eltern Nachricht bekommen, der Brief lief 19 Tage von Bergedorf bis hier, dass in der Nacht vom 2. auf 3. 8. auch dieses kleine Städtchen zum größten Teil vernichtet ist, allerdings blieb das Haus meiner Eltern stehen. - Nun scheint die "liebe Seele"  unserer Freunde und Gönner an der Themse  und jenseits des Atlantik  erst einmal Ruhe zu haben, indessen wendet man sich fruchtbareren Gebieten zu.
Gewiss, Helmuth, wir bleiben die Alten , und das wäre ja auch gelacht, aber um die armen Menschen in der Heimat habe ich oft bedenkliche Sorgen. Der Aufbauwille alleine ist nicht entscheidend, zunächst muss die Gefahr gebannt sein. Dass auch diese Stunde kommen wird, daran zweifle ich keinen Augenblick, nur darf es nicht mehr allzu lange dauern!

Ich freue mich, wenn Du mir wieder schreibst. Grüße bitte Deine Eltern herzlich von mir! Ich grüße Dich und bin herzlich Dein Friedrich-Emil
Herzl. Glückwunsch zum bestandenen Examen
Brief eines Hamburger Studenten an seinen Studienkollege in Buxtehude
Abgeschrieben von Heiner Fosseck

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