Samstag, 10. März 2012

Auf der Suche nach den toten Vätern




St. Petersburg im Juni 2011. Das Wetter ist schön. Sonnenwende! Die Menschen genießen den Sommer, die berühmten weißen Nächte, die die langen dunklen Wintertage vergessen lassen.
Sologubowka, ein fünf Hektar weites eingezäuntes Feld. Rasen bedeckt die Erde. Hier und da kleine schüttere Bäumchen. Ein breiter Weg führt  zu einem Hochkreuz.  Granitstelen stehen am Wegesrand. Auf jeder sind zweihundert Namen eingemeißelt.
Mitten im Feld steht eine kleine Menschengruppe um ein mit Blumen geschmücktes Holzkreuz. Zwei Frauen aus Hamburg,68 und 74 Jahre, besuchen die Gräber  ihrer im Frühjahr 1943 gefallenen Väter. Lisa Lemke, eine geborene Russin, mit deutschen Pass, die für den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge hier diesen Großfriedhof und Friedenpark betreut, hat dieses Treffen vorbereitet.
Sologubowka ist ein neuer Friedhof. Hierher werden nach und nach etwa  85 000 im zweiten Weltkrieg um Leningrad gefallene deutsche Soldaten umgebettet.

Krasnoje Selo, ein Vorort von St. Petersburg im Herbst 2003.. Hier sind von den Deutschen im zweiten Weltkrieg drei Soldatenfriedhöfe angelegt worden. Die Birkenholzkreuze akkurat mit Namen und den Geburts – und Todestag beschriftet.
Die Blankeneserin Hannelore Droop, geb. Glißmann, ist gekommen, um das Grab ihres Vaters, des Soldaten Bruno Glißmann, zu suchen. Die deutschen Friedhöfe gibt es nicht mehr. Die Gräber wurden umgepflügt. Gesichtslose Plattenbauten und illegal errichtete Datschen sind über den Gräbern errichtet. Gemüse wächst in den wilden Gärten.
Der  Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge ist seit Jahren bemüht, hier die ehemaligen Gräber zu finden und die Namen der Gefallenen zuzuordnen, die Überreste der deutschen Gefallenen in kleine Holzsärge zu legen und auf dem großen neuen deutschen Friedhof Sologubowka umzubetten. .„Den Menschen ihre Namen und ihre Würde zurückgeben“.
Hannelore hat ein Foto von ihrem Vater kurz bevor er starb. Der zweite von rechts ist Bruno Glißmann im Kreise seiner Kameraden. Ein Wegweiser zeigt nach St. Petersburg, dass er nie betreten wird und ein anderer zeigt nach Krasnoje Selo. Hier wird er wenig später begraben werden.
Seit der Eröffnung des neuen deutschen Friedhof m Jahr 2000 ruhen  nun schon    45 247 deutsche Kriegstote in Solobukowka. Die verfallene orthodoxe Kirche am Rand dieses Großfriedhofes wurde mit deutscher Hilfe wieder aufgebaut. In der Unterkirche sind in 84 Folianten die Namen und Daten von 850 000 deutschen Kriegstoten verzeichnet. Gefallen für „Großdeutschland“ und der Hybris eines Führers und seiner faschistischen Partei.
„In Krasnoje Selo im Jahre 2003 hatte ich ein persönliches Erlebnis“, erzählt Hannelore.“ Hier auf dem wilden Acker arbeitete ein altes russisches Mütterchen mit Kopftuch. Sie erzählte meiner Dolmetscherin, dass auch ihr Vater im Kampf um Leningrad gefallen war. Wo er gefallen ist, sie weiß es nicht. Hannelore kennt das russische Wort “Druschba“ – Freundschaft. „Unsere Väter haben vielleicht gegeneinander gekämpft, aber wir machen jetzt ‚Druschba’ „, ,lässt sie übersetzen, „und ich gab ihr die Hand.“ Hannelore ist heute noch so aufgewühlt von dieser Begegnung, dass es ihr kalt über den Rücken läuft.
Kurz nach diesen Besuch kommt Ingrid Jänner, geb. Wurr nach Krasnojeselo. Sie will auch das Grab ihres gefallenen Vaters, Hermann Wurr, suchen. Sie erfährt, dass gestern eine Frau auch aus Hamburg hier gewesen ist, um das Grab ihres Vaters aufzufinden.
So kommt es, dass nach über 60 Jahren die Töchter gemeinsam die Gräber ihrer in Russland gefallenen Väter im Juni 2011 in  Sologubowka besuchen.
Heiner Fosseck

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