Mittwoch, 2. Januar 2013

Der Lebensmittelladen Carl Wichmann in Blankenese



Der Lebensmittelladen Carl Wichmann in Blankenese

Wenn man den Süllbergsweg von der Ecke Hauptstraße/ Eiland hochsteigt, kann man linkerhand im Schulten Immenbarg, früher Westerweg, noch die Schaufenster des um 1970 geschlossenen Lebensmittelladens Carl Wichmann sehen. Feinkostfirma und Kolonialwarenhandlung so nannte Carl Wichmann sein Geschäft. Seit 1855 wurden hier von der Familie Wichmann, von Generation zu Generation, Lebensmittel und Dinge des täglichen Bedarfs verkauft.
Der 1881 geborene Carl Wichmann, ein gelernter Einzelhandelskaufmann, stand sein ganzes Berufsleben, teilweise mit seinem Sohn, bis ins hohe Alter in seinem kleinen Laden.
Die Kundschaft war in der angrenzenden Nachbarschaft am Süllberg und  Treppenviertel zuhause. Entweder ging man zu Wichmann oder zu Johannes Klindwordt in der Hans-Lange-Str. Das war immer eine Glaubensfrage für die Kunden und wenn jemand fremd ging, war Carl Wichmann sehr verstimmt. Das war bald wie Fahnenflucht.
Carl Wichmann hielt seinen Laden bis spät abends offen. In staubgraue oder braungelbe Kittel unkleidsam bekleidet stand Carl Wichmann von morgens bis abends im Laden. Nur zur Mittagszeit war das Geschäft geschlossen.
Seine Kunden hatten auch ihre Eigenheiten. Die menschenscheue Frau Göbel von gegenüber huschte immer kurz vor 19 Uhr in den Laden und sonntags konnte Carl Wichmann nicht sein Mittagessen einnehmen, wenn Frau Fehrs noch nicht da gewesen war, denn die kam immer Sonntagmittag hinten rum und kaufte die vergessenen Streichhölzer.
Er litt  sein ganzes Leben an Migräne. Deshalb trug er immer einen Elbsegler auf dem Kopf und im Hochsommer, wenn eine Mütze nun wirklich nicht angebracht war, wickelte er sich ein Band um seinen Schädel, um die Kopfschmerzen zu lindern.
Abgepackte Sachen gab es bei Carl Wichmann nicht. Ja, er verkaufte sogar literweise Petroleum aus dem Faß, denn 2 Häuser Am Eiland, früher Sandberg, hatten damals noch kein elektrisches Licht. Butter wurde auch aus dem Faß verkauft. Wenn er ein halbes Pfund Butter mit 2 gerillten Holzschaufeln abwog und kunstvoll in die rechte Form klatschte waren wir Kinder immer fasziniert. Auch als es dann abgepackte Butter gab, wurde bei Carl Wichmann Butter lose verkauft und alle Kundschaft war zutiefst überzeugt, dass die lose Butter von Wichmann viel besser schmeckt, als diese neue Fabrikbutter. “Dann bin ich ja nur noch Verkäufer,!“ sagte der alte Carl Wichmann. Manchmal liebte er es, seine Kunden zu veräppeln. „Halben Liter Essig ,damit kann ich nicht mit dienen. Der ist gerade sauer geworden.“
Der Tresen hieß damals Tonbank und das wichtigste Utensil war die große Waage mit den Messingschalen. Hinten im Laden war ein riesiger Schrank mit vielen Holzschubladen. Dort waren die verschiedensten Artikel, wie Graupen, Gries, Zucker braun und weiß u.s.w.
Alles wurde per Hand abgewogen. Ruhig und umständlich wurde Mehl in blaue rechteckige Tüten gefüllt. Mehl, dass vom Müller Ihlenfeld mit Pferd und Wagen von der Mühle am Schierenholt sackweise angeliefert wurde. Wenn der Müller Ihlenfeld nur für Wichmann einen Sack Mehl zu liefern hatte, dann schonte er seine alte Mähre Lotte und nahm den Zentner Mehl auf dem Knast und trug ihn vom Kösterberg eben mal runter zu Carl Wichmann am Süllberg. Zucker wurde in rosa Spitztüten abgefüllt. Guter Bohnenkaffee 100 grammweise auch in kleine Tüten. Der Kaffee war in 5 großen Glaskästen. Im Fenster der Glaskästen waren die jeweiligen Kaffeebohnen zu sehen. Der Kaffee wurde in einer großen trichterförmigen Kaffeemühle gemahlen. Die teureren Sorten Kaffee wurde von der Kundschaft nur zu besonderen Anlässen, wie zur Konfirmation oder wenn nach dem Krieg der Sohn oder Vater aus Russland aus der Gefangenschaft zurückkam, gekauft.
Einen Eisschrank gab es in dem angrenzenden Kellerraum auch schon. Das Eis für den Eisschrank wurde mit Pferd und Wagen stangenweise von der Elbschlossbrauerei angeliefert.
Der Aufschnitt wurde sorgfältig und für uns Kinder quälend langsam von einer langen Mettwurst, von der erstmal die Pelle restlos mit der Messerspitze entfernt wurde, abgeschnitten. Überhaupt hatten wir kleiner Kinder einen schweren Stand, denn wir hätten ja wohl genügend Zeit und erstmal kommt Frau Bohn und Frau Lütgen, die müssen noch Mittagessen kochen und ihr wollt doch nur für 5 Pfennig Klumpenlollis. Mettwurst, feine und grobe, Leberwurst feine und grobe, Jagd- und Blutwurst. Damit ist der Wurstaufschnitt aufgezählt. Genau wie beim Käse: Schweizer-, Tilsiter -, Edamerkäse, Harzer und Camembert. Kein Vergleich mit den 25 m langen innenbeleuchteten, gläsernen Kühltheken mit Hunderten von Käse- und Wurstsorten, Salaten, Antipasti bei Feinkost-Kröger in der Blankeneser Bahnhofstraße von heute.
Carl Wichmann war mit halb Blankenese verwandt. Ob es ein Lotse am Strandweg, ein Kapitän von der Blankeneser Landstraße oder die Buchhandlung Bröer in der Bahnhofstraße oder der Glaser Raupert in der Hans-Lange-Straße oder der Friseur Witt in der Hauptstraße 6 war. Überall sind Wichmann Abkömmlinge oder es war eingeheiratet worden.
Im 84. Lebensjahre starb 1965 Carl Wichmann und das sind nun auch schon 40 Jahre her. Einen Lebensmittelladen gibt es im Hanggebiet schon lange nicht mehr.

Heiner Fosseck

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